Stellungnahme der Initiative Fair Film zum Referentenentwurf für das Filmförderungsgesetz vom 15.02.2024
Berlin, den 08. März 2024
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Roth,
Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Dr. Görgen,
Sehr geehrter Herr Ministerialdirigent Dr. Püschel,
Sehr geehrter Herr Ministerialdirigent Dr. Castenholz,
die Initiative Fair Film begrüßt grundsätzlich das von Ihnen im Vorfeld der Berlinale vorgelegte Paket aus neuem Filmförderungsgesetz und Diskussionsvorschlägen zur steuerlichen Förderung von Filmproduktionen in Deutschland sowie einer Investitionsverpflichtung.
Mit diesem Schreiben lassen wir Ihnen unsere vorläufige Stellungnahme zum Referentenentwurf des Filmförderungsgesetzes zukommen. Diese ist unter Vorbehalt der endgültigen Gesetzentwürfe zur selektiven und steuerlichen Filmförderung sowie zur Förderung europäischer Werke durch Direktinvestitionen zu verstehen.
Zu § 80 FFG-REF-E (Angemessene Beschäftigungsbedingungen):
Die Einführung der Verbindlichkeit von Tarifabschlüssen in das FFG ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Selbstständig Beschäftigte sind von den Tarifabschlüssen allerdings nicht erfasst. Daher muss die Regelung um Gemeinsame Vergütungsregeln, sofern vorhanden, erweitert werden, bzw. – in Ermangelung von gemeinsamen Vergütungsregeln (Nur möglich bei Urheber*innen) – um eine Formulierung für die Vergütung der selbstständig Tätigen ergänzt werden, die Bedingungen sicherstellt, die vergleichbar mit Tarifabschlüssen und den dazugehörenden Bedingungen sind.
Vorschlag § 80 Abs 1, Satz 1 FFG-REF-E: Bei mit Referenzmitteln herzustellenden Filmen muss die Vergütung des für die Produktion des Films beschäftigten Personals tarifvertraglich erfolgen. Für Urheber*innen muss die Vergütung nach Gemeinsamen Vergütungsregeln erfolgen. In Ermangelung solcher bzw. für alle selbstständig Tätigen muss die Vergütung nach mindestens Tarifverträgen vergleichbaren Bedingungen erfolgen.
Eine Vergütung nach Tarifvertrag ist dabei so zu verstehen, dass der aktuelle Tarifvertrag in seiner Gesamtheit Anwendung findet.
Zu § 80 Abs 2 FFG-REF-E (Altersvorsorge): Auch die Verpflichtung zur Sicherung der Altersvorsorge bedarf einer Schärfung und Ausweitung auf selbständig Beschäftigte sowie einer Konkretisierung in der Formulierung, dass es sich um ein ergänzendes Angebot einer betrieblichen Altersvorsorge handeln muss.
Vorschlag § 80 Abs 1, Satz 2 FFG-REF-E: Zudem muss der Hersteller eine die gesetzliche Altersvorsorge ergänzende betriebliche Altersvorsorge des für die auf Produktionsdauer des Films beschäftigten Personals einschließlich der selbstständig Tätigen sicherstellen.
Zu Absatz § 80 Abs.3 FFG-REF-E (Ausnahmen): Um der Komplexität der unterschiedlichen Produktionstypen und Herstellungsweisen gerecht zu werden und die in § 80 Abs. 1 geregelten sozialen Mindestbedingungen nicht zu unterlaufen, empfehlen wir die Erarbeitung und Niederlegung von Kriterien für die Ausnahmeregelungen im Einzelfall in einer Richtlinie. Diese Richtlinie soll einerseits folgende Grundbedingung beinhalten:
Einen „Realitätscheck“ nach dem Vorbild der MFG-Filmförderung, bei der alle Anträge von einer erfahrenen Herstellungsleitung auf Kalkulationsrealismus bezüglich Sozialer Mindeststandards geprüft werden. Ziel ist es an dieser Stelle, dass eine bestimmte – zu definierende – Budget-Grenze auch innerhalb der Ausnahme nicht unterschritten werden darf.
Darüber hinaus sollen zweitens in einer Richtlinie Anhaltspunkte und Marker gelistet werden, die eine Ausnahme begründen könnten, um sicherzustellen, dass Ausnahmen Einzelfälle bleiben und nicht zur Regel für ganze Bereiche werden können. Konkrete Vorschläge dafür sollten gemeinsam mit allen Branchen- vertreter*innen erarbeitet werden.
In diesem Kontext möchten wir darauf hinweisen, dass in den beiden Diskussionsgrundlagen zur steuerlichen Förderung und zur Investitionsverpflichtung eine entsprechende Regelung fehlt und zu ergänzen ist. Aktuell wird in §5 (2) InvestVG bzw. in §3 (3) FFZulG nur auf ökologische Standards hingewiesen.
Abschnitt 2, § 26 ff.: Beirat für Diversität, Inklusion und Antidiskriminierung (Diversitätsbeirat)
Die zentrale Verankerung eines Diversitätsbeirates und seiner Aufgaben begrüßen wir ausdrücklich; insbesondere die Möglichkeit qua Richtlinie und Anreizmodell weitere Fördermöglichkeiten zu schaffen. Wir empfehlen, die Wirksamkeit des Beirates regelmäßig zu überprüfen. Ein Instrument hierfür könnte u.a. die Ausweitung der Berichtspflichten entsprechend § 146 sein (s.u.).
Darüber hinaus vermissen wir an dieser Stelle ein eindeutiges Bekenntnis zur Geschlechterparität vor und hinter der Kamera. Die vielen einschlägigen Studien in den vergangenen Jahren zeigen ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten von cis-männlichen Filmschaffenden, vor allem in Schlüsselpositionen. Das FFG braucht eine deutliche Positionierung zur Förderung von weiblichen* Perspektiven und Positionen in der deutschen Filmbranche.
Davon abgesehen möchten wir an unsere bereits an Sie adressierten Forderungen erinnern, die wir leider weder im Referentenentwurf noch in den Diskussionsgrundlagen wiederfinden. Das wären insbesondere:
* Jährliche Durchführung einer bundesweiten Branchenstudie ähnlich der Looking Glass Studie in Großbritannien (The Looking Glass – mental health in the UK film, TV and cinema industry).
* Jährliche Einberufung eines runden Tisches mit allen wichtigen Branchenteilnehmer*innen und den öffentlich-rechtlichen Sendern und den Branchenverbänden zur Evaluierung der Probleme und strukturellen Schwierigkeiten der Branche.
* Kalkulationsrealismus bei Budgets und Zeitkontingenten für den gesamten Filmherstellungsprozess und alle Produktionsbereiche. Für einen positiven Förderentscheid müssen die kalkulierten Budgets die Einhaltung sozialer Mindeststandards gewährleisten. Dazu gehören u.a. eine ausreichende Anzahl von Drehtagen, ausreichende Zeit und Mittel für die Drehbuchentwicklung, für Preproduction (z. B. für Kostümbild, Regieassistenz, Szenenbild, Regie, Kamera), und Postproduktion (z. B. Tage für Schnitt, Ton-, Bildnachbearbeitung und Mischung) sowie die angemessene Honorierung des Teams. Drehbücher sollen nicht mehr nur nach Formaten, sondern nach Inhalt und Anspruch kalkuliert werden.
* Die Einführung eines verpflichtenden und überprüfbaren Code of Ethics nach dem Vorbild des österreichischen Filminstituts wird Fördervoraussetzung. (https://filminstitut.at/code-of-ethic). Der Code of Ethics soll Teil der Förderverträge werden.
* Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige und Freiberufler*innen. Für Selbstständige soll eine freiwillige Arbeitslosenversicherung als soziale Sicherung verbindlich ergänzt werden. Dies ist in den Kalkulationen zu berücksichtigen.
* Anhebung des Tagessatzes von Selbstständigen und Kleinstunternehmer*innen um mindestens 40% eines vergleichbaren Tarifhonorars. Bei Gewerken, die im Gagentarifvertrag nicht gelistet sind, gelten die Gagenempfehlungen der Berufsverbände. Dies ist in den Kalkulationen zu berücksichtigen.
* Investition in Aus- und Weiterbildung (Filmstab und Filmstabnachwuchs) Wiedereinführung (vormals bis 01.01.2014 in § 59 Förderung der Weiterbildung und § 68 Abs. 8. FFG geregelt) einer Quote für Weiterbildungsmaßnahmen. Ergänzend Einführung eines zusätzlichen Förderzuschusses (Qualifizierungsbonus) in Höhe von 5 % der anerkannten Herstellungskosten, sofern das Vorhaben Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter*innen aus dem Filmstab und dem Filmstabnachwuchs umgesetzt hat. (In Anlehnung an den “Greenbonus” des österreichischen Filmförderungsgesetzes § 12a. (5))
INCENTIVE-PROGRAMME
Incentive-Programme sollen Produzent*innen motivieren, neue sozial nachhaltige Strukturen zu schaffen. Ziel soll es dabei sein, Erfahrungswerte zu sammeln und damit langfristig Strukturen so zu verändern, dass die Branche erfahrene Fachkräfte hält und attraktiver für den Nachwuchs wird. Wird bei einem Förderprojekt die Erfüllung der Anforderungen eines Incentives nachgewiesen, erhält die Produktionsfirma automatisch weitere projektbezogene Fördermittel in Höhe einer bestimmten Summe. Die Produktionsfirma kann mehrere bzw. auch alle Incentive-Programme bei einem Projekt in Anspruch nehmen.
* FACILITATOR INCENTIVE Einsatz einer externen, unabhängigen Vertrauensperson als Ansprechpartner*in (vgl. BFI “Well-Being-Facilitator” )
* JOBSHARING INCENTIVE Jobsharing als flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem sich zwei oder mehr Arbeitnehmer*innen mindestens eine Vollzeitstelle teilen.
* CHILDCARE INCENTIVE Angebot von Kinderbetreuung am Set.
* TRAININGS INCENTIVE Schulungen und Workshops für das Führungspersonal,Cast und Crew!
Wir würden uns freuen, wenn diese Forderungen in den zukünftigen FFG-Entwürfen den darauf aufbauenden noch zu erstellenden FFA-Richtlinien oder der noch zu erwartenden BKM-Richtlinie aufgenommen bzw. in den Gesetzesbegründungen als Problem adressiert werden.
Für Rückfragen und einen weiteren konstruktiven Austausch stehen wir gerne und jederzeit zur Verfügung. Zu erreichen sind wir zuverlässig und schnell unter der E-Mailadresse mail@initiative-fair-film.de.
Die Initiative Fair Film